Weil ich grad keine Lust hab, noch mehr Schriftzeichen zu lernen, stell ich einfach mal die jüngsten Umfragen (RCP-Durchschnittswert; falls nicht vorhanden die letzte Erhebung) zu den Senatssitzen hier rein, die die Farbe wechseln könnten. Bei jeweils 11 demokratischen und 11 republikanischen Sitzen scheint die Wiederwahl des Amtsinhabers sicher zu sein, ich hab mir nur die 13 Sitze angeschaut, die in den Medien immer wieder genannt werden:
Gefährdete GOP-Sitze:
Alaska: D +3.2
Colorado: D +6
Georgia: R +7
Kentucky: R +6.5
Maine: R +15 (das soll ein Kippel-Sitz sein?)
Minnesota: D +2.2
Mississippi: R +4
New Hampshire: D +5.9
New Mexico: D +16
North Carolina: D +3.4
Oregon: D +1.5 (die jüngsten zwei Umfragen: D +5)
Virginia: D +28.6
Schwächster Demokraten-Sitz:
Louisiana: D +13
Wenn diese Umfragezahlen Wahlergebnisse wären, ginge die Wahl im November folgendermaßen aus:
Demokraten: 20 Sitze;
GOP: 15 Sitze.
Scheint mir auch rein intuitiv ein wahrscheinlicheres Ergebnis zu sein als ein Gleichstand zwischen beiden Parteien.
Wenn es so käme, würden die Demokraten acht Sitze dazugewinnen und kämen auf 57; die Republikaner würden noch 41 halten. Die Unabhängigen blieben bei zwei Sitzen: Der einzige unabhängige Kandidat, der bei RCP überhaupt aufgeführt wird, ist Dean Barkley aus Minnesota. Der steht in den Umfragen bei respektablen 17% - seine beiden Gegner aus den großen Parteien allerdings bei jeweils etwa 40%.
Der Senat hat schon mehr als zwei Jahrhunderte auf dem Buckel. Ursprünglich als Debattierclub wohlmeinender, relativ unabhängiger Gentlemen gedacht, knirscht es inzwischen im Gebälk, weil sich die altehrwürdige Geschäftsordnung und eine moderne, auf politische Parteien zentrierte Mediendemokratie immer häufiger in die Quere kommen:
Im Senat kann jeder Senator zu jedem Thema beliebig lange sprechen; wenn alle das Gefühl haben, dass ein Gesetzentwurf ausdiskutiert ist, schreitet man zur Abstimmung. Diese (im Vergleich zum Repräsentantenhaus) sehr lockere Regelung kann aber recht leicht ausgenutzt werden, indem sich Senatoren weigern, eine Debatte als beendet anzusehen. Früher konnten sie das nur tun, indem sie tatsächlich ohne Unterbrechung sprachen: Legendär die über 24-stündige Rede des weißen Südstaatlers Strom Thurmond im Jahr 1957, mit der dieser versuchte, die Verabschiedung des "Civil Rights Act" zu hintertreiben. Der Mann hatte zur Vorbereitung in der Sauna geschwitzt, um während seiner Rede am Wasserglas nippen zu können, ohne anschließend zur Toilette gehen zu müssen. Für den Notfall stand ein Helfer mit einem Eimer bereit. Ein anderer Senator wappnete sich für seine Mammutansprache, indem er Windeln anzog. Wahrscheinlich als Reaktion auf solche Exzesse einigte man sich, dass diese als "Filibuster" bekannte Obstruktionstaktik auch ohne gehaltene Rede zulässig ist: Ein Senator erklärt einfach, dass jetzt filibustert wird, und es findet keine Abstimmung statt, das Gesetz wird nicht verabschiedet. Die Zahl der Filibuster ist in den vergangenen Jahren deshalb steil angestiegen - der derzeit amtierende Senat wird wohl einen neuen Rekord aufstellen.
Beendet werden kann dieses Schauspiel nur durch ein Einlenken der renitenten Minderheit oder eine Abstimmung, bei der mindestens drei Fünftel der Senatoren für eine Beendigung der Debatte stimmen müssen. Drei Fünftel - 60 Senatoren also. Das erklärt, warum die demokratische Partei in diesem Jahr Unsummen in die Senatswahlkämpfe investiert: Wenn Obama die Wahl gewinnt und die Demokraten die Mehrheit im Senat haben, ist das gut und schön, aber nur eine "filibuster-proof majority" von sechzig Sitzen (die beiden Unabhängigen eingeschlossen, die in Geschäftsordnungsfragen immer mit den Demokraten stimmen) garantiert, dass die schönen demokratischen Gesetze auch wirklich verabschiedet werden.
Eigentlich sind die Demokraten ganz gut aufgestellt: Obama kann seinen Wahlkampf selbst finanzieren, während McCain auf die finanzielle Unterstützung der GOP angewiesen ist, die deshalb nicht alle Ressourcen auf die Kongresswahlen konzentrieren kann. Wird interessant sein, zu beobachten, ob die GOP bei weiterhin miesen Umfragezahlen für ihren Kandidaten weiter auf Sieg (bei der Präsidentschaftswahl) spielt oder zunehmend auf Platz (die Verteidigung von mindestens 41 Sitzen, um Sand ins Getriebe einer Obama-Administration streuen zu können).
Der konservative "Weekly Standard" malt den Teufel an die Wand:
"Thanks particularly to the month-long financial crisis, Republicans are in extremely poor shape with the election three weeks away. This means the worst case scenario is now a distinct possibility: a Democrat in the White House, a Democratic Senate with a filibuster-proof majority, and a Democratic House with a bolstered majority.
If this scenario unfolds, Washington would become a solidly liberal town again for the first time in decades. And the prospects of passing the liberal agenda--nearly all of it--would be bright. Enacting major parts of it would be even brighter. You can forget about bipartisanship."
Die Gewerkschaften und Umweltschützer würden dann den Kurs des Landes bestimmen, die Meinungsfreiheit eingeschränkt, naiven außenpolitischen Abenteuern Tür und Tor geöffnet, ohne dass Konservative dagegen irgend etwas tun könnten. Der ganze düstere Artikel hier:
In einem Wahlbezirk im US-Staat New York hat sich ein Druckfehler eingeschlichen: Hunderte Briefwähler erhielten Wahlunterlagen, auf denen sie sich zwischen
"Barack Osama" und "John McCain" entscheiden sollten. Irgendjemand muss beim Namen des demokratischen Bewerbers ein "b" mit einem "s" vertauscht haben.
@ronnie: Wat gut, das dat nicht in einem Swing State passiert ist. Man stelle sich vor, Obama verlöre die Wahl aufgrund einiger Stimmzettel, auf denen sein Name "Osama" lautet...
Amerika hat einen neuen Star: Joe den Klempner, mit dem Obama kürzlich auf einer seiner Veranstaltungen einen kleinen Disput um Steuerpolitik gehabt hatte. Den wackeren Handwerker führte McCain in der letzten Debatte ein ums andere Mal an, um zu zeigen, dass Obamas Steuerpläne angeblich ganz normale Menschen benachteiligen (und nicht nur die Reichen): "What you want to do to Joe the Plumber and millions more like him is have their taxes increased and not be able to realize the American dream of owning their own business." Auf Anfrage diverser Journalisten sagte Joe selbst, er werde niemandem erzählen, wen er denn wählen werde.
Die Debatte selbst kann man hier sehen - ich fand sie ganz interessant:
www.youdecide2008.com/2008/10/15/video-final-presidential-debate-from-hofstra-university-obama-mccain-watch-full-debate/
Und jetzt die passende musikalische Untermalung:
www.free-lyrics.org/Reinhard-Mey/228623-Ich-Bin-Klempner-Von-Beruf.html
Wer hat gewonnen? Laut der Polls dreier Fernsehsender wiederum klar Obama. Die Medien hingegen sind sich wieder nicht einig:
These 1: McCain ist nicht mehr zu retten
"The Arizona senator finally mentioned Bill Ayers and ACORN to his opponent's face. But he can't link Obama to Ayers and domestic terrorism, or to the controversial community group called Association of Community Organizations for Reform Now, as tightly as Obama can link McCain to Bush. And that remains one of Obama's biggest advantages in this race.
The Democrat has other advantages, from the economy to his own eloquence. He also has the ability to do what McCain can't do: look and sound presidential.
[...]
Each knows his destiny. One man is walking to the White House. The other is just a politically dead man walking."
These 2: McCain hat es geschafft, die Aufmerksamkeit auf Obamas Steuerpolitik und teure Programme zu lenken und sie als klassische "tax-and-spend"-Politik darzustellen:
"McCain has now established the tax issue in a way he has not been able to do so far in the contest. Now he can widen the gap between the campaigns on this key issue. If the Republicans concentrate their campaign on the key issue of taxes and abandon the other lines of attack, they can use the lines developed in this debate to do better and better as Election Day nears.
There was no knockout in this debate. Obama emerged with class and charisma from a slugfest. He seemed to be the kind of man we want as president. But McCain was able to set up the tax issue in a way that could eventually close the gap."
Eines steht sicher fest: McCain hat aus allen Rohren gefeuert und einen Angriff nach dem anderen gefahren - meiner Meinung nach recht gut vorgetragen; es war eine reife Leistung des Republikaners. Aber Obama war einfach unerschütterlich - er schien auf jede Anschuldigung eine Antwort parat zu haben:
"Sometimes McCain attacked directly, and sometimes he attacked sarcastically, but he never stopped attacking. And he never rattled Obama. Obama answered every attack and kept his cool.
How cool? Obama was so cool that after 90 minutes under blazing TV lights, an ice cube wouldn’t have melted on his forehead.
[...]
The race is not over. It would be wrong to write McCain off. After all, there is still almost three weeks to go. And in politics, anything can happen.
McCain trat bei David Letterman auf und wurde dort härter befragt als er es sonst gewohnt ist.
http://www.boston.com/ae/tv/blog/2008/10/so_yeah_its_a_l.html
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Übrigens Joe hat wohl keine Lizenz und würde von den Steuerplänen Obamas profitieren, außerdem schuldet er dem Finanzamt 1.000$
Vielleicht sollte es McCain wirklich mit einem erfundenen Freund versuchen, der ihm beisteht.
Colin Powell hat eine Wahlempfehlung für Obama abgegeben:
"It isn't easy for me to disappoint Sen. McCain in the way that I have this morning, and I regret that. But I firmly believe that at this point in America's history, we need a president that will not just continue, even with a new face and with the changes and with some maverick aspects, who will not just continue basically the policies that we have been following in recent years."
"I watched Mr. Obama... he displayed a steadiness, an intellectual curiosity, a depth of knowledge and an approach to looking at problems like this, and picking a vice president that I think is ready to be president on day one. And also not just jumping in and changing every day but showing intellectual vigor. I think that he has a definitive way of doing business that would serve us well."
Powell ging auch auf die Gerüchte ein, Obama sei Moslem:
"The correct answer is 'He's not a Muslim. He's a Christian.' ... But the really right answer is, 'What if he is?' Is there something wrong with being a Muslim in this country? The answer is 'no.' That's not America. Is there something wrong with some seven-year-old Muslim-American kid believing that he or she can be president?"
Man neigt oft dazu, den Einfluss von Wahlempfehlungen zu überschätzen; aber die von Powell war in beiden Lagern eine der begehrtesten. Wirklich ne gute Nachricht für Obama.
@Britta: Es stimmt, manche Umfragen zeigen eine leichte Aufwärtstendenz für McCain. Das wäre auch nicht überraschend: In den meisten Wahljahren schmilzt der Vorsprung des Spitzenreiters vor der Wahl noch etwas zusammen. Allerdings sollte man bedenken, dass die von Dir erwähnte Umfrage von Zogby stammt - einem der unzuverlässigsten Pollster auf dem Markt. Dazu kommt: Die Umfragen in den entscheidenden Swing States zeigen Obama weiterhin mit einer sehr deutlichen Mehrheit der Wahlmännerstimmen.
Was den von Dir erhofften Bradley-Effekt angeht: Dessen Existenz ist umstritten; manche Wahlforscher gehen sogar davon aus, dass das Gegenteil der Fall sein könnte. Der "Economist" hatte kürzlich einen ganz guten Artikel zur Zuverlässigkeit der Umfragen, den ich momentan allerdings auch nicht mehr finden kann. Fazit: Wenn die Annahmen der Umfrageinstitute korrekt sind, sieht's schlecht aus für McCain. Sind sie falsch, dann benachteiligen sie wahrscheinlich eher Obama, ergo sieht es für John noch mieser aus.
EDIT: TNR stellt fest, wie deutlich die Empfehlung ausfiel: Powell sprach sich nicht nur für Obama aus, sondern kritisierte McCains Reaktion auf die ökonomische Krise, seinen Aktionismus und die Wahl Sarah Palins, die nicht bereit für das Präsidentenamt sei.
Und noch eine wichtige Nachricht: Obama hat allein im September über 150 Millionen an Spenden eingetrieben - fast doppelt soviel, wie McCain für die gesamte Zeit vom Parteitag bis zur Wahl zusteht (allerdings schießt die Republikanische Partei da noch etwas zu). Das heißt: In den Swing States wird Obama Fernsehen, Radio und Zeitungen wahrscheinlich weiterhin in noch nie dagewesener Weise dominieren.
Diverse Republikaner sind ziemlich schockiert - auch, weil Powell so deutlich Ktitik am Zustand der GOP übte; er fürchte, die Partei drifte immer weiter nach rechts. Reaktionen:
"The Powell endorsement is a big deal," said Scott Reed, Bob Dole's campaign manager in 1996 and a close friend of McCain campaign manager Rick Davis. "It has been bantered about since August, and shows both Powell and Obama know how to make an impact in the closing days of a tight campaign."
"What that just did in one sound bite -- and I assume that sound bite will end up in an ad -- is it eliminated the experience factor," said former House Speaker Newt Gingrich, a Republican, in an appearance on ABC's This Week with George Stephanopoulos. "How are you going to say the former Chairman of the Joint Chiefs, the former National Security Adviser, former Secretary of State was taken in?"
"This Powell endorsement is the nail in the coffin," said one Republican official, speaking anonymously to offer candid thoughts about the party's nominee. "Not just because of him, but the indictment he laid out of the McCain campaign."
na also McCain ist kein Ultra -- schon gar kein religiöser ! Da aber 60 % der Amis glauben, daß die Welt von einem Schöpfer kreiert wurde und die meisten davon auch davon ausgehen, daß das alles vor 6000 Jahren passiert ist, dann müßte Sarah alleine schon die Wahl überlegen gewinnen, die glaubt das ja auch !
Du kommst also als Republikaner nicht darum herum, diese Leute irgendwie anzusprechen, denn sonst bleiben die zu Hause und die fehlen die Stimmen ! Und da McCain eben selber kein Ultra ist, mußte er halt die Sarah ... bester Beweis dafür, daß er selber keiner ist ..
aber klar ist schon -- wenn die Zeiten härter werden, driften die Fronten auseinandern und stehen einander radikaler gegenüber ..
Genau dazu hat der Herr Powell aber auch seins beigetragen, vielleicht kann er sich jetzt nur nicht mehr daran erinnern!