Die Süddeutsche zunächst mit dem Fahrplan für die nächsten Wochen, dann mit einer Spitze der Bundesjustizministerin gegen ihren Vorsitzenden und schließlich mit der Einschätzung, dass Westerwelle es wohl auch auf eine Kampfabstimmung in Rostock ankommen lassen würde. Dass er einen Gegenkandidaten haben wird, wenn er nochmals antritt, scheint mir wahrscheinlich - die Frage ist allerdings, wie prominent und damit aussichtsreich dieser sein wird. Ventil für den Unmut oder ernsthafter Putsch? So ne Kampfkandidatur wäre vermutlich ein würdiger Höhepunkt unseres WW-Marktes.
In Rostock stehen auch Präsidium und Bundesvorstand zur Neuwahl an. Eine Vorentscheidung über das Personaltableau, das dem Parteitag präsentiert werden soll, wird am 11. April in einer Sitzung von Präsidium und Landesvorsitzenden fallen. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich auf dem Parteitag andere Bewerber melden und es zu Kampfabstimmungen kommt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schließt einen Rückzug Guido Westerwelles vom Amt des Parteichefs nicht mehr aus. Die Frage, ob Westerwelle als Parteichef weitermachen könne, gehöre "in den Kreis unserer Gesamtüberlegungen für ein Personaltableau", sagte sie der Passauer Neuen Presse. Parteichef Guido Westerwelle hat bisher nicht erkennen lassen, dass er trotz aller Kritik an seiner Person auf den Vorsitz verzichten will. Ein Herausforderer hat sich noch nicht gemeldet. Frühere Äußerungen lassen vermuten, dass sich Westerwelle auch einem Gegenkandidaten stellen würde.
Kritik von Wolfgang Gerhardt im Deutschlandfunk für Liebhaber von feinziselierten Äußerungen:
Gerhardt: Ich weiß genau, dass wir in einer geradezu existenziellen Herausforderung sind. Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Partei des politischen Liberalismus. Das ist niemand verborgen geblieben, die Wahlergebnisse haben das noch einmal sozusagen schriftlich bestätigt, und jetzt liegt es an uns, diese Herausforderung anzunehmen. Ich bin immer Optimist gewesen. Ich glaube auch, dass wir es können, aber wir kommen um eine gründliche Inventur nicht herum.
Kapern [DLF]: Wenn Sie sagen, existenzielle Herausforderung, sehen Sie das politische Überleben der FDP tatsächlich gefährdet?
Gerhardt: Ich sehe uns in einer existenziellen Situation. Wir waren in der Geschichte der Bundesrepublik immer einmal in solchen Herausforderungen. Aber nach meinem Eindruck ist sie gegenwärtig größer, als ich sie jemals wahrgenommen habe [...]Kapern: Wenn der Prozess, vor dem die FDP jetzt steht, Herr Gerhardt, so schwierig ist, ist es dann klug, wenn derjenige, der diesen Prozess federführend leiten muss, dann gleichzeitig noch Außenminister ist?
Gerhardt: Ich glaube, dass die FDP jetzt nicht jeden Tag wieder mit einzelnen Personalvorschlägen und mit Antworten auf Fragen, für die wir auch einige Tage Zeit brauchen, die Öffentlichkeit in Beschlag nimmt. Wir haben einen Bundesparteitag in diesem Frühjahr, wir haben jetzt Landesparteitage, Guido Westerwelle hat selbst die Landesvorsitzenden und weitere Entscheidungsträger zu einem Gespräch eingeladen. Ich glaube, das ist schon der richtige Weg, denn auch wenn es Veränderungen gibt, muss man mit Menschen, die Verantwortung haben, auch vernünftig umgehen und man muss ihnen auch die Zeit einräumen, selbst nachzudenken.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1423518/
Wohlgemerkt: Nicht Zeit, um Veränderungen einzuleiten, sondern, um "selbst nachzudenken".
EDIT: Zwei Landesverbänden der Julis geht diese Subtilität etwas ab:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,753939,00.html
spiegel.de
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Lindner: Westerwelle trägt die Hauptverantwortung an den Ergebnissen von über einjähriger Regierungspolitik. Die Anhänger unserer Partei sind hoch verunsichert, insbesondere was den Kurswechsel in der Energiepolitik in den vergangenen zwei Wochen angeht. Daran hat Herr Westerwelle tatkräftigen Anteil gehabt. Wir müssen uns aber erst einmal über unsere inhaltliche Positionierung klar werden, daraus folgen dann die personellen Konsequenzen.
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anderer spon-artikel
Kommt jetzt die Revolte in der FDP auf Touren? FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis prescht vor und fordert, Generalsekretär Lindner müsse Parteichef werden. Sein Kollege Daniel Bahr verlangt mehr Anstand in der Personaldebatte - doch der Druck auf Westerwelle steigt.
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spiegel.de
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Lindner: Westerwelle trägt die Hauptverantwortung an den Ergebnissen von über einjähriger Regierungspolitik. Die Anhänger unserer Partei sind hoch verunsichert, insbesondere was den Kurswechsel in der Energiepolitik in den vergangenen zwei Wochen angeht. Daran hat Herr Westerwelle tatkräftigen Anteil gehabt. Wir müssen uns aber erst einmal über unsere inhaltliche Positionierung klar werden, daraus folgen dann die personellen Konsequenzen.
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anderer spon-artikel
Kommt jetzt die Revolte in der FDP auf Touren? FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis prescht vor und fordert, Generalsekretär Lindner müsse Parteichef werden. Sein Kollege Daniel Bahr verlangt mehr Anstand in der Personaldebatte - doch der Druck auf Westerwelle steigt.
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Kann man Westerwelle ganz absägen? Als Vorsitzender und als Minister? Oder kann er eine Position halten?
Ich glaube erbleibt Vorsitzender. Diese Partei scheint leider keine Substanz mehr zu haben. Westerwelle ist nicht die FDP, aber neben seiner politisch dominierenden Rolle in all den zurückliegenden Jahren ist er auch altersmäßig noch so was wie ein Mediator zwischen profillosen Jungen und den wirklich alten Charakterköpfen Baum, Genscher u.a..
Kann man Westerwelle ganz absägen? Als Vorsitzender und als Minister? Oder kann er eine Position halten?
Weiß nicht. Aber es dürfte mittlerweile wirklich jedem aufgefallen sein, dass WW einfach keine Strahlkraft entwickelt als Vorsitzender, nicht mal mit dem Auswärtigen Amt als normalerweise sicherem Popularitätskatapult im Rücken. Die allermeisten Deutschen können ihn einfach nicht leiden, und das wird sich auch nicht mehr ändern. Und so ein begnadeter Stratege / Vordenker ist er ja nun auch nicht, dass damit das Charisma-Defizit aufgewogen würde. Allerdings ist er damit an der FDP-Spitze ja nicht alleine; Homburger, Pieper oder Brüderle sind ja auch keine Heilsbringer. Ob die Partei auf einen Schlag die halbe Spitze austauscht? Andererseits wurde ja in der Vergangenheit öfter geschrieben, Brüderle und Lindner blockierten sich gegenseitig; davon kann nun eigentlich keine Rede mehr sein. Zumal eine Führungsdebatte in der Partei ab einem gewissen Erregungszustand der Basis möglicherweise auch einfach nicht mehr kontrollierbar ist. Bleibt spannend.
...Und so ein begnadeter Stratege / Vordenker ist er ja nun auch nicht, dass damit das Charisma-Defizit aufgewogen würde. .... Zumal eine Führungsdebatte in der Partei ab einem gewissen Erregungszustand der Basis möglicherweise auch einfach nicht mehr kontrollierbar ist. Bleibt spannend.
Aber 14 % hat er bei der letzten BTW immerhin überzeugt und auch Frau Merkel. Wenn Westerwelle weicht, was ist dann mit dieser Kanzlerin?
Es bleibt spannend. auch weil niemand sagen kann, ob und wie eine liberale Partei nochmal gebraucht wird. Die FDP-Basis (ich kenn' nur die Gesichter aus dem Fernsehen von FDP-Parteitagen und Stammtischen) weiß es auch nicht. Sie schienen mir immer nur westerwellebesoffen zu sein. Ganz klar geirrt hat auch das alte Schlitzohr Genscher mit seinem dringenden Rat 2009, Westerwelle müsse Außenminister werden. Verheerend!
Aber 14 % hat er bei der letzten BTW immerhin überzeugt und auch Frau Merkel. Wenn Westerwelle weicht, was ist dann mit dieser Kanzlerin?
Opposition ist halt was anderes als Regierung. In der Opposition kannst Du mit kessen Sprüchen aufwarten und Erwartungen wecken - wenn Du in der Regierung bist, wird aber ein anderes Auftreten erwartet und das Einlösen der Versprechungen. Beides bleibt WW schuldig, weil er es eben nicht wie einst die Grünen schafft, ein paar realistische Projekte durchzubringen und damit bei den eigenen Wählern zu punkten. Populistische Maximalforderungen, nix erreicht: Das ist tödlich. Und ich sehe auch keine großartige Möglichkeit für WW, sein negatives Image irgendwie aufzupolieren: Die meisten Deutschen haben längst beschlossen, dass sie ihn nicht abkönnen, das wird kaum zu korrigieren sein. Ob das zu seiner Abwahl führt - wer weiß? Im Dezember haben einige seiner Parteifreunde den Aufstand im wahrsten Sinne des Wortes schon einmal geprobt, jetzt gilt es: Wenn sie ihn jetzt nicht absägen, dann bleibt er noch ne Weile an der Parteispitze.
EDIT: Dem Spiegel zufolge möchten die jungen Hoffnungsträger die offene Auseinandersetzung mit Guido wenn möglich vermeiden.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,754096,00.html
Guter Artikel im Handelsblatt: Für Röttgen und Lindner sei ein forcierter Atomausstieg (mit ihnen an der Spitze) Vehikel im innerparteilichen Machtkampf:
Wie Röttgen nutzte auch Lindner die Atompolitik für seine Führungsambitionen - und verkündete am Dienstag im Alleingang die völlige Abkehr der FDP von der Atomkraft: Die Kernenergie habe ihre öffentliche Akzeptanz verloren, die im Rahmen des Atom-Moratoriums vorübergehend abgeschalteten Alt-Meiler sollten nicht wieder angefahren werden, sagte Lindner.
Die Forderung dient mehr dazu die Parteispitze unter Druck zu setzen, als der ehrlichen Erkenntnis, dass die Atomkraft zu gefährlich ist: Denn mit der öffentlichen Meinung nach dem Japan-Gau im Nacken dürften Brüderle und die alten Führungskader der Partei sich kaum trauen, Lindner zu widersprechen. Nicht nachdem er publikumswirksam mit der Forderung Pflöcke eingerammt hat.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und NRW-Landeschef Daniel Bahr sind bereits auf Lindners Linie eingeschwenkt und unterstützen die dauerhafte Abschaltung: "Lindner ist in dieser Frage nicht vorgeprescht", sagte Leutheusser-Schnarrenberger am Mittwoch.
Man könnte die Strategie von Röttgen und Lindner die Politik der nuklearen Abschreckung nennen. Die Jungstars erkennen die Gunst der Stunde und setzen die Atompolitik als Waffe ein, um die Macht in der Partei zu übernehmen.
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/die-neuen-kalten-krieger/3996578 .html
Die Süddeutsche sieht Westerwelle vor dem Aus, Lindner vor dem Sprung an die Spitze und telefoniert anscheinend fleißig mit den FDP-Großkopferten:
Und was ist mit Wirtschaftminister Rainer Brüderle, dessen Name zur Jahreswende als Übergangsvorsitzender geraunt worden war? Ein Bundesvorstandsmitglied lacht am Telefon laut auf, als er den Namen hört. Ein anderer aus dem Spitzengremium meint lakonisch: "Der hat sich mit seinen Aussagen zum AKW-Moratorium selbst in den Orbit geschossen."
[...]
Eine Kampfabstimmung gegen Westerwelle, um den Weg freizumachen für Lindner - diese Idee schwebt auch anderen Mitgliedern des Bundesvorstands vor. "Westerwelle ist sehr zäh", sagt einer, der ihn schon lange kennt. Aber ein schlechtes Ergebnis auf dem Parteitag könnte ihn empfindlich treffen. "Vielleicht versteht er dann endlich den Wink mit dem Zaunpfahl und geht," hofft ein anderer Bundesvorstand.
Ob es so weit tatsächlich kommt, ist allerdings fraglich. Westerwelle hat noch immer viele Anhänger in der Partei, viele verdanken ihm seine Karriere. "Bei einer Kampfabstimmung würde ich Westerwelle wählen", sagt etwa Christian Ahrendt, FDP-Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern und ebenfalls Bundesvorstand.
Die FAZ hebt heute (Seite 4) einen psychologischen Aspekt hervor, der den Abgang des "Übervaters" Westerwelle wenig wahrscheinlich macht:
Die Generation, die den gegenwärtigen Parteivorsitzenden beerben wird, hat sich nicht gegen ihn durchgebissen, sondern wurde von ihm ausdrücklich in Positionen gebracht, wo sie politisches Handwerk erlernen und Erfahrungen sammeln konnten. Irgendwann sollen sie den von Westerwelle selbst für spätestens 2015 geplanten Generationenwechsel reibungslos vollziehen.
auch online:
"Spitzen-Liberale erinnerten an eine Grundregel beim Schach: „Der Turm eignet sich nicht als Bauernopfer.“
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Brüderle selbst lehnt einen überhasteten Ausstieg aus der Kernenergie weiterhin ab. Der Minister zu BILD.de: „Die Energiewende muss zügig kommen, sie muss aber machbar und sicher sein. Wir wollen so schnell wie möglich ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien. Aber wir müssen den Menschen ehrlich sagen: Ohne neue Leitungen wird es nicht gehen. Und vermutlich auch nicht zum Nulltarif.“
Ohne Parteichef Westerwelle [bild.de] zu nennen, mahnte Brüderle: "Die FDP muss sich auf das besinnen, was sie bei der letzten Bundestagswahl so stark gemacht hat: Wir brauchen einen klaren Kurs. Gefragt sind unsere Brot und Butter-Themen: Soziale Marktwirtschaft, Bildung, Bürgerrechte und Steuergerechtigkeit. "
In den nächsten Wochen und Monaten finden u.a. folgende Wahlen und Abstimmungen statt – zu allen Terminen werden (voraussichtlich) Märkte aufgesetzt:
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1. Halbjahr
2. Halbjahr
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